Elf Fragen über den Naturjuuz

Elf Fragen über den Naturjuuz an Bernhard Betschart

(Die Antworten sind Bernhard's ganz persönliche und unverbindliche Ansichten und Erfahrungen.)

Frage 1:
Was ist eigentlich das Spezielle am Muotataler Naturjuuz?

Der Muotataler Naturjuuz ist eine urtümliche und traditionell überlieferte Form des heute eher bekannteren "Klubjodelns". Der Naturjuuz zeichnet sich durch seine urchige, natürliche  Art aus. Auffallend für das Ohr von Laien sind sicher die "schräg" klingenden Töne der Naturtonreihe. Dazu gehört sicher das ab und zu auftretende Alphorn-Fa, aber auch die neutrale Intonation der 3. und 7. Stufe, also der Terz und der Septime. Dies ergibt beim mehrstimmigen Singen ungewohnte, für unsere Ohren dissonant klingende Intervalle.

Frage 2: 

Inwiefern unterscheidet sich der Muotataler Naturjuuz von anderen "Naturjüüzen"?

Der Muotataler Naturjuuz ist archaischer als in anderen Gegenden. Allgemein kann auch gesagt werden, dass man zum Teil bewusst nicht das «schöne» Singen pflegt, sondern Ausdruck und Individualität ins Zentrum stellt - so wie dies bereits alte Tondokumente belegen. Der Stil ist nicht geschliffen, die Töne sind mal erdig, mal wild. Auch deswegen klingen ihre Muotataler Jüüzli für das unvertraute Ohr zuerst einmal kantig, rau, mitunter überraschend anders.

Frage 3:

Wie ist der Naturjuuz eigentlich entstanden?

Das kann heute niemand mehr ganz genau sagen. Es gibt Leute die behaupten, dass es sich um eine Art Kommunikation zwischen Bauersleuten auf verschiedenen Alpen und Viehweiden handelte. Andere wiederum sagen, dass diese Melodien durch Blas- und Streichmusik, welche in Konzertsälen in Schwyz, Brunnen etc. gehört wurde, beeinflusst worden ist. Aber es ist in dieser Region sicher eine der urtümlichsten Art von Singen.

Frage 4:
Kann der Naturjuuz jeder erlernen, oder muss man den "im Blut" haben?

Man kann den Naturjuuz lernen, wenn man ein wenig "Musigghör" hat, ohne Zweifel. Aber die Naturtönigkeiten so einzusetzen wie sie früher schon praktiziert wurden, das ist nicht so einfach. Da hatte ich es natürlich viel einfacher und das Glück, das ich mit dem Naturjuuz aufgewachsen bin. So wurde ich unbewusst als kleiner Bub mit den verschiedenen traditionellen Melodien und der dazugehörigen Naturttönigkeit vertraut.

Frage 5:
Merkt man sich die einzelnen Naturjüüze nur durch auswendig lernen, oder gibt es eine Art Notierung dafür?

Der Jodelklub Muotatal hat zum Teil Naturjüüzli auf Noten geschrieben. Ich selber habe 2 Notenhefte geschrieben anhand meiner beiden Lern-CD's, dazu weiss ich auch von anderen Personen welche einfache Jüüzli auf Noten geschrieben haben, um sie besser an Workshops und Kursen zu lernen. Wir von der ehemaligen Gruppe "Natur pur" zum Beispiel sind mehr oder weniger aufgewachsen mit dem Juuzen und mit diesen Melodien vertraut. Oder man hat sie durch hören von den Eltern zu Hause, auf alten Aufnahmen von Tonbändern oder im Ausgang mitbekommen und so gelernt.

Frage 6:
Was war das Ziel von der Naturjuuzer-Gruppe "Natur pur"?

Das eigentliche Interesse bestand, neben dem öffentlichen Auftreten an Konzerten und kulturellen Engagements, wie schon früher praktiziert, im Kollegenkreis oder wie der Name schon sagt in der freien Natur aus dem Herz heraus zu juuzen. Es gab da auch schon sehr interessante und schöne Erfahrungen an Workshops oder Naturtonfestivals im In und Ausland, wo wir unterwegs waren. Grössere Projekte oder längere Reisen waren aber für unsere Bauern nicht möglich, "suscht müässtid dr Dänl und dr Heinz nu ä Chnächt zuächätuä"…:-)

Frage 7:
Was ist eigentlich, jodeltechnisch gesehen, der Unterschied zwischen "Natur pur" und dem Jodelklub Muotatal?

Ich denke da mal an das Einsingen und Stimmenaufwärmen. Was für die Stimme eigentlich ja sehr gut wäre, doch waren wir halt nicht so seriös wie ein Jodelklub... Und natürlich ganz klar die Naturtönigkeit und Melodieführung bei den einzelnen Jüüzen.

Bei uns gab es nur ein kleines "Juuzschema", in dem wir uns bewegten: Ein bis drei Stimmen, zwei mal zwei Teile, die überlieferte Melodie und das persönliche Stimmungsprofil und den Charakter jedes einzelnen Juuzers. Beim Jodelklub wird mehr Wert darauf gelegt dass es einheitlich und in das vorgegebene Schema passt. Es sind in einem Klub ja auch viel mehr Stimmen, die miteinander harmonieren müssen. Es braucht also dort auch mehr Disziplin.

Frage 8:
Was meinst du, steht der Naturjuuz vor dem Aussterben, oder gibt es genügend Nachwuchs, welcher dieses Erbe auch in Zukunft pflegen wird?

Das Interesse am natürlichen Naturjuuz ist, so glaube ich, so gross wie noch nie. Ich spreche da aber nicht von uns im Muotathal, sondern von den Naturtonfestivals, Workshops, Jodelsymposien, etc. Die Eigenheit des Naturjuuzes wurde ja schon vor vielen Jahrzehnten erkannt, wie zum Beispiel durch die Musikethnologen Wolfgang Sichardt, Hugo Zemp oder auch Cyrill Schläpfer, etc.

Was die Muotataler selber betrifft, so denke ich, ist das Interesse immer noch vorhanden. Der Naturjuuz wird heute noch von diversen Juuzer/innen und Jodelklubs gepflegt,  jedoch gibt es immer weniger Familien, die den Naturjuuz noch zu Hause in seiner spontanen Natürlichkeit pflegen. Wie früher bei uns zu Hause, oder bei "ds'Guggelers oder ds'Fluehöflers etc".

Frage 9:
Gibt es den Naturjuuz eigentlich auf jedem Kontinent?

In jedem Kontinent oder Land gibt es eine urtümliche, natürliche Form von Singen, Musizieren, oder wie wir im Muotathal sagen: '"Juuzen". Es klingt halt zum Teil ganz anders, mit anderen Gesangstechniken, Rhythmen und Melodien. Aber sie sind vielfach noch naturtönig und für unser "geschultes" Ohr dissonant und ungewohnt. Wie der Naturjuuz in seiner urtümlichen Art.

Frage 10:
Ist der Naturjuuz eigentlich auch geschützt, wie so vieles in Sachen "Kulturerbe"?

Der Schweizer Jodel steht derzeit gerade im Antrag zum Unesco Welterbe. Die wunderbaren, dialektsbezogenen Eigenarten der verschiedenen Jodel-Regionen können aber meist nur von deren Bewohner und Jodelfreunden gepflegt und weitergetragen werden.

Frage 11:
Eure Naturjuuzer-Gruppe "Natur pur" war eine reine Männerdomäne? Zufall, oder bewusst?

Ähm... ja, die Frauen haben's halt nicht so einfach mit uns... Nein, Spass beiseite. Im Muotathal  / Illgau gab immer schon Männer und Frauen die gejuuzt haben. Das war früher bei uns ganz ausgeglichen, und erst durch Männerchöre, später durch Jodlerklubs zu einer "Männerdominanz" herangewachsen. Wenn ich an die Besucher von meinen Workshops denke, dann sind das bisher klar mehrheitlich die Frauen die Interesse am Naturjuuz, an Weiterbildung diesbezüglich zeigen.

Für mich gibt es keinen Unterschied, ob Mann oder Frau juuzt, da wir in unserer Familie zu Hause mehr "Meitli" waren als "Buäbä". Ich habe also in jungen Jahren viel mit meinen Schwestern und Eltern gejuuzt, was sehr schön war.